Schübelbach in finnischem Magazin
An der Gemeindeversammlung vom 25. April 2025 begrüsste Gemeindepräsident Othmar Büeler auch die finnische Journalistin Suvi Turtiainen und den Fotografen Sami Kero in der Turnhalle Gutenbrunnen.
Grösste Zeitung in Finnland
Turtiainen schreibt für die grösste finnische Zeitung «Helsingin Sanomat» und recherchierte für einen Bericht über die Einbürgerung in der Schweiz. Auch die Landsgemeinde Appenzell besuchten die beiden.
Am 7. Juni 2025 ist ihr zehnseitiger Bericht im finnischen Magazin «Kukausiliite» erschienen. Wir haben den Bericht für Sie mit Hilfe von KI übersetzen lassen:
Übersetzung von KI:
Volksmacht
Demokratie in der Krise – außer in der Schweiz
In Appenzell versammeln sich die Einwohner auf dem Marktplatz, um per Handzeichen abzustimmen. Die Demokratie ist in der Krise – aber nicht in der Schweiz, wo die Bürger eines Kantons persönlich und direkt über politische Entscheidungen befinden.
Text: Suvi Turtiainen
Fotos: Sami Kero
Appenzell: Die direkte Demokratie im Schneckentempo
Ein feierlicher Umzug zieht über den Platz. Männer und Jungen in Tracht tragen Fahnen. Die Schritte sind absichtlich langsam. Dieser langsame Marsch vom Rathaus zum zentralen Platz ist Teil eines Rituals: Am letzten Sonntag im April versammeln sich die freien Bürger des Kantons Appenzell Innerrhoden zur Landsgemeinde.
Die Entscheidungen fallen per Handzeichen – wie im antiken Griechenland. Die direkte Demokratie ist heute ein Markenzeichen der Schweiz. Doch die Kulisse ist ebenso eindrucksvoll: Im Hintergrund erheben sich die Alpen. Die Häuser erinnern an Pfefferkuchenhäuser. Und das Rezept für den berühmten Appenzeller Käse kennen nur zwei Personen gleichzeitig.
Zwischen Trump, Populismus und TikTok – und einer uralten Abstimmung
Die Welt tobt. Trump wird angeschossen. Populisten gewinnen an Boden. Doch hier in der Schweiz herrscht Ruhe. Männer tragen Anzüge, Frauen festliche Kleider – und Männer tragen zudem ein Schwert, das als Zeichen des Stimmrechts gilt. Frauen erhielten im Kanton Appenzell Innerrhoden erst 1990 das Wahlrecht – als letzte in der Schweiz.
Jonas Federer (23) trägt ein Schwert in der einen Hand, ein Bier in der anderen. Er verteidigt die späte Einführung des Frauenwahlrechts als Tradition – nicht als Diskriminierung.
Misstrauen gegenüber der Zentralgewalt
Die Schweizer vertrauen ihrer Gemeinde mehr als dem Bundesstaat. Die Regierung (Bundesrat) besteht aus sieben gleichberechtigten Mitgliedern aller Hauptparteien, die jährlich rotierend das Präsidialamt übernehmen. Die Schweiz ist weder EU- noch NATO-Mitglied, arbeitet aber mit beiden zusammen.
Viermal im Jahr finden Volksabstimmungen statt – zu Themen von Verfassungsänderungen bis zum Standort einer Bushaltestelle.
Jonas Federer meint: Direkte Demokratie wirkt wie ein Ventil. Sie ermöglicht Mitsprache und reduziert Frust.
Kaffeetrinken als Demokratie-Modell
In Zürich erklärt Kolumnist Mikael Krogerus die Logik der Schweizer Demokratie anhand einer Kaffeebestellung: Beide wollen Milchkaffee, bekommen aber Americano – dafür hatten sie Mitspracherecht.
Direkte Demokratie, so Krogerus, erfordert Beteiligung. Viele lesen die Abstimmungsunterlagen nicht – aber sie könnten es tun. Und das zählt.
„Ihr müsst Saara kennenlernen!“
Saara Iten, 26, Tochter einer Finnin und eines Schweizers, wächst in Appenzell auf. Beim Dorffrühstück mit Freunden wird die Tagesordnung der Abstimmung durchgegangen. Sie trägt hohe Schuhe und wechselt später zu Sneakers. Als Kind hatte sie keine Kita – Mütter blieben traditionell zu Hause. Ihre finnische Mutter musste dies verteidigen. Saara stellt fest: „Hier geht alles etwas langsamer.“
Das Schweizer Erfolgsgeheimnis
Laut Krogerus haben Schweizer keinen Anreiz, das System zu stürzen – es funktioniert zu gut. Die grösste Partei ist die rechtspopulistische SVP, aber durch das Konsensmodell bleibt sie gemässigt. Züge sind pünktlich, Straßen sauber – keine Wutbürger in Sicht.
Politische Entscheidungen sind dauerhaft. Es gibt keine abrupten Richtungswechsel wie in Deutschland oder den USA. Die Schweizer vermeiden Konflikte. Sie sind höflich, aber nicht notwendigerweise freundlich.
Integration per Abstimmung – ein Blick nach Schübelbach
In Schübelbach (Kanton Schwyz) entscheidet die Gemeindeversammlung über die Einbürgerung von acht langjährig ansässigen Ausländern – u.a. ein Deutscher, ein Serbe, ein Türke, ein Eritreer. Alle haben Tests bestanden und kennen örtliche Vereine.
Die Bevölkerung darf Widerstand anmelden. In einem Nachbardorf hatte ein Fall Aufsehen erregt: Eine Frau betrieb Prostitution und zahlte keine Steuern – ihr Antrag wurde überprüft.
In Schübelbach bleibt es still – ein gutes Zeichen. Alle Kandidaten werden akzeptiert. Früher konnten Einwände anonym eingereicht werden – das förderte Rassismus. Heute geschieht alles öffentlich.
Die Grenzen der direkten Demokratie
27 % der Bevölkerung sind Ausländer – viele dauerhaft vom Stimmrecht ausgeschlossen. Krogerus nennt die Schweiz deshalb eine „Scheindemokratie“. Die Einbürgerung ist absichtlich kompliziert. In manchen Gemeinden wird sie per Abstimmung entschieden.
Der erste Durchbruch: Eine Frau wird gewählt
1990 wurde das Frauenwahlrecht in Appenzell gerichtlich durchgesetzt – gegen den Widerstand der Männer. Erst 2025 wird erstmals eine Frau an die Spitze des Kantons gewählt. Das zeigt: Selbst in der stabilsten Demokratie braucht es manchmal Druck von aussen.
Die Autorin und ihre Familie
Die Kinder der Autorin haben Schweizer Pässe, leben aber in Berlin. Die Familie verließ die Schweiz, weil dort Gleichstellung kaum erreichbar scheint. Kita kann Tausende kosten. Viele Schulen schicken die Kinder mittags nach Hause. Viele Frauen bleiben Hausfrauen.
Ihr Mann, ein Schweizer, würde gern in Bern leben. Doch er versteht, dass seine Frau, eine Finnin, mit der konservativen Schweiz hadert.
In der lokalen Demokratie von Schübelbach liegt die Macht bei denen, die sich an einem Freitagabend in die Turnhalle begeben.
Meine Kinder sind Schweizer, aber sie haben nur als Kleinkinder in der Schweiz gelebt.
In ihren Schweizer Pässen ist als Heimatgemeinde der Ort eingetragen, der über die väterliche Linie vererbt wurde – ein kleines Dorf, das wir noch nie besucht haben.
In Wirklichkeit wurden meine Kinder in Helsinki geboren. Sie besitzen auch finnische Pässe. Den Großteil ihres Lebens haben sie in Berlin verbracht.
Wir sind einst aus der Schweiz weggezogen, weil ich fand, dass in der extrem langsam funktionierenden direkten Demokratie nie ein Maß an Gleichstellung zwischen den Geschlechtern erreicht werden kann, das mit dem der nordischen Länder vergleichbar wäre. Für zwei Kinder kann die Kita mehrere tausend Euro im Monat kosten. Viele Schulen schicken die Kinder zum Mittagessen nach Hause. Ein erheblicher Teil der Frauen bleibt Hausfrau.
Mein Mann würde gern in der Hauptstadt seines Heimatlandes, Bern, leben. Für seine Freunde war es eine große Überraschung, dass ich nicht in der Schweiz leben möchte. In der schweizerischen Weltsicht wollen ja schließlich alle in die Schweiz ziehen.
Aber mein Mann versteht, warum das konservative System der Schweiz für eine finnische Frau schwierig sein kann. Die Schweiz ist vielleicht die bekannteste Demokratie der Welt, aber von einem gleichberechtigten Land ist sie weit entfernt.
Als wir eine Familie gründeten, folgte die häufigste – und gleichzeitig schwierigste – Form direkter Demokratie: Wir mussten als Familie entscheiden, wo beide glücklich sein können.
Es entstand ein Kompromiss. Wir landeten in Deutschland, das zwischen Finnland und der Schweiz liegt. Beide konnten mitentscheiden, und beide waren mit der Entscheidung zufrieden.
Zugehörige Objekte
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